Vegan: Unfassbar riskanter Lieferservice-Start in Lissabon

„Die Leute wollten Fleisch. Oder wenn vegan, dann bitte frittiert, mit Käse oben drauf. Kein Mensch in Lissabon wartet auf deinen Bio-Kichererbsen-Bowl – vor allem nicht, wenn er lauwarm aus dem Twingo kommt.“

Vegan in Lissabon: Wie ein deutscher Traum fast an der Logistik zerbrachEin kompromissloser Blick hinter die Kulissen eines riskanten Online-Geschäfts in Portugal

Lissabon. Vegan. Selbstständig. Und plötzlich bricht alles zusammen.

Es war der große Traum: raus aus dem deutschen Hamsterrad, rein in die Sonne Portugals. Julia (29) und Ben (32), ein junges Paar aus Köln, wollten mehr vom Leben – mehr Sinn, mehr Freiheit, mehr Gemüse. Ihr Plan: ein veganer Lieferservice in Lissabon. Regional, nachhaltig, kompromisslos frisch. Bio ohne Bullshit. Doch was dann geschah, hätte ihnen niemand vorher gesagt.

„Wir waren überzeugt: Wenn wir’s nicht machen, macht’s keiner“, sagt Julia heute. „Aber wir hatten keine Ahnung, was auf uns zukommt.“

Selbstständigkeit in Portugal: Wenn dein veganer Traum an der Logistik erstickt

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Der Anfang war romantisch. Ein Foodtruck, ein paar Kontakte auf dem Biobauernmarkt, ein stylischer Instagram-Auftritt. Die Nachfrage? Riesig. Lissabon schien bereit für veganes Soulfood – aber die Realität war wie ein Schlag in die Magengrube.

„Unser erstes Problem war: Wir hatten kein Kühlfahrzeug“, erzählt Ben. „Also haben wir bei über 30 Grad mit Eisboxen ausgeliefert – in einem klapprigen Renault Twingo. Nach zwei Stunden war alles warm.“

Der zweite Tiefschlag: Die portugiesische Bürokratie. „Wir dachten, ein Gewerbe anmelden dauert ein paar Stunden. Es waren acht Wochen. In der Zeit konnten wir nichts legal verkaufen.“ Der Druck stieg. Die Ersparnisse schrumpften. Und dann kam der erste Kunde mit Lebensmittelvergiftung.

„Er hat ein TikTok darüber gemacht. Es ging viral. Wir dachten, das war’s.“

Lissabon – Stadt der Sonne, Stadt der Illusionen

Was viele unterschätzen: Lissabon ist wunderschön, aber brutal für Gründer. Die Mieten steigen, gute Küchenflächen sind rar, die Konkurrenz ist erbarmungslos. Und wer denkt, Veganismus sei hier ein Selbstläufer, hat nie versucht, Portugiesen von Hafermilch zu überzeugen.

„Die Leute wollten Fleisch. Oder wenn vegan, dann billig. Aber unsere Preise waren hoch – wir wollten Qualität. Und dafür wurden wir als arrogant abgestempelt“, sagt Julia.

Plötzlich war da nicht nur die Angst vor dem Scheitern – sondern auch Einsamkeit. „Wir hatten keine Freunde mehr. Alle hatten Jobs, Sicherheit. Wir hatten Schulden und Brokkoli.“

Crashkurs Logistik: Wenn dein Business an der Straße scheitert

Es war der 18. Liefertag, als alles eskalierte. Julia stand mit zwei Kisten Tofuburger mitten auf der Avenida da Liberdade – Stau, 38 Grad, das Navi ausgefallen. Der Kunde rief an. „Wenn das Essen nicht in 5 Minuten da ist, will ich mein Geld zurück.“

Ben war derweil auf dem Weg zu einem Biohof, 40 Minuten außerhalb. Dort wartete niemand. „Wir haben vergessen, die Abholung zu bestätigen. Die haben alles weiterverkauft.“

Zwei Bestellungen platzten. Drei Kunden stornierten ihre Abos. Stripe sperrte das Konto wegen zu vieler Rückbuchungen.

„Da saß ich das erste Mal heulend auf dem Küchenboden“, sagt Julia. „Ich wollte alles hinschmeißen.“

Was niemand erzählt: Die Wahrheit über Selbstständigkeit in Portugal

Es ist nicht das Produkt. Es ist nicht die Idee. Es ist der Druck, der dich bricht. Die Dinge, die du nicht siehst, wenn du auf Instagram einen Gründer lächelnd mit einem Smoothie siehst.

Julia und Ben lernten es auf die harte Tour:
– Dass Kühlketten in Südeuropa ein Albtraum sind.
– Dass Logistik mehr ist als ein GPS-Tracker.
– Dass Selbstständigkeit bedeutet: Du arbeitest 14 Stunden – und verdienst manchmal 12 Euro.

Aber sie lernten auch: Scheitern ist kein Ende. Nur eine verdammt ehrliche Bestandsaufnahme.

Neuanfang oder Rückflug? Und dann kam alles anders

Im März standen sie kurz vor dem Rückflug. „Wir hatten die Koffer gepackt. Ich wollte einfach nur zurück nach Köln und wieder in einem Büro sitzen“, sagt Ben. Aber dann kam eine Mail – von einem portugiesischen Lieferdienst, der ihren Instagram-Account entdeckt hatte. Sie suchten genau so ein Konzept – aber mit professioneller Infrastruktur.

„Wir bekamen ein Angebot zur Kooperation. Plötzlich hatten wir Zugang zu Kühlfahrzeugen, Lagern, Profis“, sagt Julia.

Heute läuft ihr veganes Geschäft – nicht perfekt, aber stabil. Sie liefern dreimal die Woche, haben 400 Stammkunden. „Ohne diesen Zusammenbruch hätten wir nie gelernt, wie man wirklich gründet.“

Fazit: Wer in Portugal vegan und selbstständig sein will, muss mehr mitbringen als eine gute Idee. Er braucht Nerven aus Stahl, einen Plan B – und die Demut, Fehler nicht als Niederlagen zu sehen, sondern als Schulungen fürs echte Leben.

Das hier ist keine Erfolgsgeschichte. Noch nicht. Aber sie ist ehrlich. Und das macht sie wertvoller als jedes Hochglanz-Startup-Märchen.

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