Kaffee statt Burnout: Wie eine deutsche Familie in Kolumbien alles riskierte – und fast verlor
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Kolumbien: Vom Berliner Büro in die Berge – und direkt in die Krise
Die Sonne brennt auf 1.600 Meter Höhe in den Anden, der Dschungel rauscht wie ein Ozean aus Blättern. Und mitten drin: Anne (38) und Sascha (42) aus Berlin. Vor einem Jahr noch standen sie täglich im Stau auf der Stadtautobahn, pendelten zwischen Kita und Großraumbüro. Heute schieben sie mit verdreckten Händen Setzlinge in die rote Erde Kolumbiens – und kämpfen ums Überleben.
_„Wir wollten raus aus dem Hamsterrad. Etwas Echtes machen. Kaffee anbauen. Selbstständig sein. Frei sein.“_
Doch die Realität in Kolumbien kennt keine Instagram-Filter.
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Selbstständigkeit im Paradies? Wie Landwirtschaft in Kolumbien zur Zerreißprobe wurde
Die Entscheidung fiel in einer Nacht, nach einer Panikattacke. Anne war als Projektmanagerin kurz vor dem Burnout, Sascha hatte seinen Job als IT-Berater gehasst. Sie verkauften alles – Haus, Auto, Möbel – und kauften ein Stück Land in der Nähe von Manizales: grün, wild, günstig. _„Für den Preis einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Prenzlauer Berg bekamen wir hier acht Hektar mit Flusszugang.“_
Der Traum: Bio-Kaffee für den europäischen Markt. Direkt und fair produziert, nachhaltig, mit Herz.
Die Realität: Stromausfälle, Schlangen im Kompost, keine Ahnung vom Ackerbau.
_„Wir dachten, wir schaffen das schon. YouTube-Videos, ein paar Kurse – wir sind ja nicht blöd.“_
Aber Kolumbien spielt nach eigenen Regeln.
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Finanzen, Frust und falsche Freunde: Wenn der Neustart zur Existenzfrage wird
Was viele nicht sehen: Selbstständigkeit in Kolumbien bedeutet mehr als nur den Anbau von Pflanzen. Es geht um Bürokratie, Korruption, Misstrauen.
Anne erinnert sich an den Moment, als sie fast alles verloren hätten:
_„Ein lokaler Berater hat uns einen Vertrag untergeschoben – plötzlich gehörten 30% unseres Landes ihm.“_
Sie mussten kämpfen, zum ersten Mal in ihrem Leben mit Anwälten auf Spanisch verhandeln.
Gleichzeitig trockneten die ersten Kaffeesetzlinge unter der Hitze aus. Die Ernte fiel aus. Kein Einkommen. Drei Monate lang lebten sie von Instantreis und selbst angebauten Mangos.
_„Ich habe nachts geweint. Nicht aus Trauer. Aus Angst.“_
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Kaffee, Kinder, Krisen: Wie der neue Lebensstil alles auf den Prüfstand stellt
Mitten in der Krise: die Kinder. Zwei Mädchen, 5 und 8 Jahre alt.
_„Sie hatten plötzlich Würmer, Hautausschläge. Die Umstellung war härter als gedacht.“_
Schule? Fehlanzeige. Die nächste liegt 14 Kilometer entfernt, über Schotterpisten. Also unterrichten Anne und Sascha selbst – wenn sie nicht gerade eine marode Wasserleitung flicken oder mit der Machete das Unkraut bekämpfen.
Der Traum-Lebensstil? Ein täglicher Überlebenskampf.
Und doch: Es gibt diese Momente.
Wenn morgens die Nebelschwaden über dem Tal hängen, der erste Kaffee dampft und die Kinder barfuß durch den Garten rennen.
_„Dann wissen wir: Wir sind am richtigen Ort. Nur… es ist viel härter als gedacht.“_
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Was Auswanderer in Kolumbien unterschätzen – und was wirklich zählt
Viele scheitern. An den Finanzen. An der Einsamkeit. Am fehlenden Plan B.
Anne und Sascha sehen fast wöchentlich andere Auswanderer kommen – und wieder gehen.
_„Sie denken, sie machen hier ein Café auf oder züchten ein paar Avocados. Aber Kolumbien ist kein Spielplatz.“_
Was sie gelernt haben?
– Du brauchst Rücklagen. Und zwar doppelt so viel, wie du denkst.
– Du brauchst echte Hilfe vor Ort – nicht nur Google.
– Und du musst bereit sein, dich selbst neu zu erfinden. Jeden Tag.
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Und plötzlich… kam der Wendepunkt
Es war kurz vor dem Aufgeben. Anne hatte bereits Bewerbungen für Remote-Jobs geschrieben. Da kam eine Nachricht aus Deutschland:
Ein kleiner Kaffeeröster will ihren Rohkaffee testen. Eine erste Bestellung – 120 Kilo.
_„Es war nicht viel. Aber es war unser erster richtiger Verkauf. Unser erster Beweis: Es geht!“_
Heute, ein Jahr später, verkaufen sie an drei Händler in Deutschland. Sie bauen nicht nur Kaffee an – sie bauen sich ein neues Leben. Langsam. Mit Schwielen an den Händen. Und Stolz im Blick.
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Fazit: Kolumbien ist kein Neuanfang für Romantiker. Sondern für Kämpfer.
Auswandern klingt nach Freiheit. Aber Kolumbien fordert alles – deine Kraft, deinen Mut, deine Finanzen und deinen Verstand.
Anne sagt heute:
_„Wir haben fast alles verloren. Aber auch alles gefunden.“_
Und irgendwo in den Bergen dampft eine Tasse Kaffee. Der schmeckt nicht nur nach Bohnen. Sondern nach Überleben.