- Lebensstil, Hobby, Reisen, Sport, Natur, Community – oder einfach nur Flucht vor dem System?
- „Ich konnte den Schrei der Einsamkeit hören.“
- „Wir hatten kein Geld mehr für Brennholz. Und dann kam der Winter.“
- Aber warum gehen sie trotzdem nicht zurück?
- Was du wissen musst, bevor du alles hinschmeißt:
Natur oder Wahnsinn? Wenn der Traum vom neuen Lebensstil zur Zerreißprobe wirdReisen, Sport, Natur – sie wollten nur raus. Raus aus dem Alltag, rein ins Paradies. Doch was passiert, wenn der neue Lebensstil plötzlich mehr kostet als nur Geld?
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„Du wachst auf, und alles ist still. Kein Verkehr, kein Handyempfang, nur du – und deine Angst.“
So beschreibt Tina (38) ihren ersten Morgen in der „neuen Freiheit“. Gemeinsam mit ihrem Freund Marco (42) hat sie alles hinter sich gelassen: Bürojob, Dreizimmerwohnung in Wuppertal, den gewohnten Supermarkt an der Ecke – für ein selbstbestimmtes Leben in einem abgelegenen Tal in Nordmazedonien.
„Wir wollten ein Leben in der Natur. Ein kleines Stück Land, ein paar Hühner, Internet reicht für Marco sowieso zum Arbeiten. Dachten wir.“
Was sie nicht wussten: Die Straße zum Grundstück wird im Herbst unpassierbar. Die Nachbarn sprechen kein Wort Englisch. Und der nächste Supermarkt ist 47 Minuten entfernt – wenn der Jeep anspringt.
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Lebensstil, Hobby, Reisen, Sport, Natur, Community – oder einfach nur Flucht vor dem System?
Sie waren nicht die Ersten. In Facebook-Gruppen mit Namen wie „Back to Nature – Europa“ oder „Auswandern in die Wildnis“ tauschen sich Tausende aus. Tipps, Fotos, Träume. Doch was kaum einer öffentlich schreibt: Die Realität hat Zähne.
„Wir dachten, wir steigen aus – stattdessen mussten wir plötzlich alles lernen: Wasser filtern, Stromleitungen legen, mit wilden Hunden klarkommen“, sagt Marco. „Ich hab früher Websites gebaut. Jetzt kämpfe ich mit Schimmel im Wohncontainer.“
Auch andere scheitern. Die 26-jährige Jessy, die allein nach Bulgarien ging, um dort ein Yoga-Retreat zu eröffnen, musste nach nur drei Monaten abbrechen. „Ich hatte die Natur romantisiert. Aber wenn du dich nachts nicht traust, auf die Komposttoilette zu gehen, weil Wildschweine im Garten sind – dann ist das kein Retreat. Das ist Überleben.“
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„Ich konnte den Schrei der Einsamkeit hören.“
Viele unterschätzen die emotionale Belastung. Ohne gewohnte Strukturen, Freunde oder Hilfe vor Ort wird der Neustart zur psychischen Herausforderung.
„Der Tag hat 24 Stunden. Du bist mit dir selbst konfrontiert wie nie zuvor“, erzählt Tina ehrlich. „Ich dachte, wir wachsen als Paar. Stattdessen haben wir uns angeschrien, weil der Wasserfilter verstopft war.“
Es sind nicht nur die äußeren Umstände. Es sind die inneren Kämpfe. Die Frage: Wer bin ich, wenn ich alles abgelegt habe?
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„Wir hatten kein Geld mehr für Brennholz. Und dann kam der Winter.“
Der größte Feind der Hobby-Auswanderer? Der erste Winter. Temperaturen unter null, kein Strom, keine Isolierung. Wer da nicht vorbereitet ist, zahlt mit der Gesundheit – oder kehrt zurück.
„Ich hab mir drei Zehen erfroren“, sagt Ralf (51), der mit seiner Frau in ein kleines Steinhaus in den französischen Pyrenäen gezogen war. „Wir dachten: Holzofen, Decken, das passt. Aber wenn du nachts aufwachst und dein Atem gefriert – dann willst du nur noch zurück nach Bochum.“
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Aber warum gehen sie trotzdem nicht zurück?
Weil trotz allem, trotz Einsamkeit, Erschöpfung und Pleite – etwas bleibt: Freiheit.
„Ich kann nicht mehr zurück in die alte Welt“, sagt Jessy, die inzwischen in einer kleinen Community in Portugal lebt. „Ich hab gelernt, wie ich mich selbst versorge. Ich kenn jetzt die Namen der Pflanzen um mich herum. Ich hab keine Angst mehr vor dem Alleinsein.“
Auch Tina und Marco haben nicht aufgegeben. Sie haben das Grundstück gewechselt, wohnen jetzt näher an einem Dorf. Mit Internet. Und Nachbarn, die helfen.
„Es ist nicht das Paradies, das wir erwartet haben“, sagt Marco. „Aber es ist unser neues Leben. Roh. Echt. Manchmal brutal. Aber endlich unseres.“
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Was du wissen musst, bevor du alles hinschmeißt:
– Romantik ist kein Werkzeug. Ohne handwerkliches Wissen wird der Neustart schnell gefährlich.
– Community ist kein Versprechen. Viele Gruppen zerbrechen an Ego, Konflikten, fehlender Verantwortung.
– Natur ist kein Wellnesshotel. Sie ist schön, aber auch gnadenlos.
– Freiheit kostet. Nicht nur Geld – sondern Gewohnheit, Sicherheit, Komfort.
– Du nimmst dich immer mit. Wer flieht, trifft sich selbst zuerst.
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Fazit:
Auswandern als Hobby? Klingt leicht, fast wie ein Abenteuer. Doch wer sich wirklich auf dieses Leben einlässt, stellt schnell fest: Es ist kein Instagram-Traum. Es ist ein Kampf – gegen äußere Widrigkeiten, gegen innere Dämonen. Aber genau darin liegt seine Wahrheit. Seine Kraft. Und manchmal, ganz selten, seine Schönheit.