Tourismus-Rausch trifft Realität: Wie ein B&B-Traum zwei Leben zerstörte
Selbstständigkeit, Wohnen, Arbeit, Finanzen, Tourismus, Recht – wenn alles auf einmal brennt
„Wir wollten einfach nur raus – raus aus dem Hamsterrad, raus aus der Kälte, raus aus dem System.“ So beginnt der Albtraum von Michaela (42) und Kevin (45), einem Paar aus dem Ruhrpott, das alles auf eine Karte setzte. Ihr Traum: ein Bed & Breakfast an der Algarve. Sonne, Gäste, Frühstück servieren mit Blick aufs Meer. Doch was sie bekamen, war nichts als Stress, Schulden und eine Ehe am Abgrund.
Wohnen unter Palmen – oder eher: auf der Baustelle
Die Instagram-Bilder sahen perfekt aus. Das kleine weiße Haus mit blauen Fensterläden, Bougainvillea im Garten, der Atlantik nur 10 Minuten entfernt. Was die Kamera verschwieg: Feuchtigkeit in den Wänden, ein nicht genehmigter Anbau – und Nachbarn, die jeden Schritt zur Baubehörde meldeten.
„Wir hatten keine Ahnung, dass man in Portugal für jede Lampe einen Antrag stellen muss“, sagt Kevin heute bitter. „Die Bürokratie hat uns zermürbt.“ Statt Gäste zu empfangen, standen sie monatelang im Rathaus – und auf der Baustelle. Denn der Vorbesitzer hatte illegal umgebaut. Das B&B durfte gar nicht eröffnen.
Finanzen? Ein Fass ohne Boden
Sie hatten 75.000 Euro Eigenkapital. „Für den Start reicht das locker“, dachten beide. Falsch gedacht. Allein die Nachbesserungen am Haus verschlangen 40.000 Euro – ohne Rechnung, versteht sich. „Wenn du in Portugal niemanden kennst, wirst du abgezockt“, sagt Michaela. „Der erste Elektriker hat uns die Kabel falsch gelegt, der zweite war betrunken auf dem Dach.“
Dazu kamen laufende Kosten: Versicherung, Steuern, Müllabfuhr, Strom und Wasser – alles teurer als gedacht. Nach sechs Monaten war das Konto leer. „Wir lebten von Kreditkarte zu Kreditkarte“, sagt Kevin. „Am Ende hatten wir 38.000 Euro Schulden – in zwei Ländern.“
Tourismus: Der Traum vom ewigen Sommer zerplatzt
„Alle sagten, ab Mai rollt der Rubel“, erinnert sich Michaela. „Aber unser Kalender blieb leer.“ Denn das B&B war nicht bei Booking.com gelistet – fehlende Lizenz. Ohne Genehmigung kein Eintrag, ohne Eintrag keine Gäste. Stattdessen: Stornierungen, Frust, Streit.
Und dann kam der Sommer – mit 43 Grad im Schatten. „Kein Mensch wollte in einem nicht-klimatisierten Zimmer schlafen“, sagt Kevin. „Wir hatten Gäste – aber nur für eine Nacht. Danach zogen sie weiter. Die Bewertungen waren katastrophal.“
Selbstständigkeit mit Burnout-Garantie
„Du denkst, du arbeitest am Strand mit Laptop und Cocktail“, sagt Michaela. „Aber du bist Koch, Putzfrau, IT-Manager, Buchhalter – und dann noch seelischer Mülleimer für die Gäste.“ Das Paar arbeitete 16 Stunden täglich, sieben Tage die Woche. Ohne Pause. Ohne Erfolg.
„Wir hatten kein Leben mehr“, sagt Kevin. „Nur noch Streit. Irgendwann war uns klar: Einer von uns geht – oder wir beide gehen unter.“
Recht und Realität: Wenn du plötzlich illegal bist
Der finale Schlag kam vom Staat. Eine Kontrolle – unangekündigt. Das Finanzamt entdeckte die Barzahlungen, das fehlende Kassensystem, die nicht gemeldeten Einnahmen. „Wir waren plötzlich Schwarzarbeiter in unserem eigenen Haus“, sagt Michaela. Es folgte eine Strafe: 12.000 Euro.
Dazu kam ein Ultimatum: Entweder sie legalisieren alles – oder schließen. Aber das hätte weitere 20.000 Euro gekostet. Geld, das sie nicht hatten.
Die Flucht: Vom Gastgeber zum Gescheiterten
Ein Jahr nach dem großen Umzug standen Michaela und Kevin wieder am Flughafen. Ohne B&B, mit Schulden – und dem Gefühl, versagt zu haben. „Wir haben uns geschämt“, sagt Kevin. „Vor unseren Familien, vor unseren Freunden. Alle hatten uns gewarnt. Und sie hatten recht.“
Zurück in Deutschland lebt Kevin bei seinem Bruder, Michaela bei einer Freundin. „Wir reden kaum noch“, sagt sie. „Wir haben beide alles verloren.“
Was sie unterschätzt haben – und was wir alle daraus lernen können
– Selbstständigkeit im Ausland ist kein Urlaub: Ohne Sprachkenntnisse, Kontakte und rechtliches Wissen ist man verloren.
– Wohnen in der Sonne ist nicht gleich Leben im Paradies: Hitze, Isolation, fremde Gesetze – das romantische Bild zerbricht schnell.
– Tourismus ist ein knallhartes Business: Wer glaubt, Gäste kommen von allein, wird bitter enttäuscht.
– Rechtliche Stolperfallen können Existenzen vernichten: Eine fehlende Lizenz kann alles kosten – auch die Freiheit.
– Finanzen ohne Puffer = Zeitbombe: Wer keinen Plan B hat, hat gar keinen.
Und die Liebe?
„Vielleicht war es zu viel auf einmal“, sagt Michaela leise. „Vielleicht hätten wir erst unsere Beziehung retten sollen – bevor wir ein Haus renovieren.“
Dieser Traum endete nicht mit Frühstück am Meer – sondern mit Tränen bei der Rückkehr. Und der harten Erkenntnis: Ein neues Leben beginnt nicht mit einem Flugticket. Sondern mit einem klaren Plan. Und offenen Augen.