- Selbstständigkeit, Co-Working und eine Community – oder wie man sich in Ungarn gnadenlos überschätzt
- Kaltstart ins Geschäft – kein Geld, kein Glück, kein Backup
- Zwischen Burnout und Balkonwein – was keiner auf Instagram zeigt
- Wendepunkt in der Waschsalon-Community – ja, wirklich
- Lektion aus der Krise: Co-Working ist kein Allheilmittel – sondern ein Spiegel
Co-Working, Chaos, Kameras: Wie ein Traum in Ungarn fast alles zerstörte – und dann doch alles veränderte„Ich dachte, ich hätte alles durchdacht. Stattdessen stand ich nach drei Wochen in Budapest ohne Kunden, ohne Anschluss – und ohne Plan B.“
So beginnt die Geschichte von Jana (32) und Chris (34), einem Paar aus Dortmund, das seinen sicheren Büroalltag gegen ein Leben voller Freiheit, Selbstständigkeit und Remote-Arbeit eintauschen wollte. Das Ziel: Budapest, Hauptstadt von Ungarn, Hochburg für digitale Nomaden – und laut Instagram der vermeintlich perfekte Ort für den großen Neustart.
Doch was als Traum begann, wurde schnell zum Albtraum.
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Selbstständigkeit, Co-Working und eine Community – oder wie man sich in Ungarn gnadenlos überschätzt
Die ersten Tage in Budapest wirkten wie aus einem Werbeclip: stylische Cafés, hippe Co-Working-Spaces mit Rooftop-Terrassen und internationale Freelancer, die lässig an ihren Laptops tippten. Jana war überzeugt: „Hier gehöre ich hin.“
Sie kündigte ihren Job als Marketing-Managerin, Chris gab seine Festanstellung als Softwareentwickler auf. Die beiden mieteten sich in ein trendiges Co-Living-Haus ein – mit Yoga-Raum, Gemeinschaftsküche und Versprechen auf „echte Community“.
Doch dann kam die Realität.
Keiner redete mit ihnen. Die Co-Worker grüßten kaum, jeder war in seinem eigenen Business gefangen. Kein Netzwerk, kein Austausch. Nur stille Bildschirme und endlose Slack-Nachrichten.
„Ich hab mir das wie eine Familie vorgestellt. Stattdessen hat uns keiner beachtet. Wir waren Geister.“, sagt Chris rückblickend.
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Kaltstart ins Geschäft – kein Geld, kein Glück, kein Backup
Ohne Kontakte lief das Geschäft schleppend. Jana hatte auf schnelle Kunden über Online-Plattformen gehofft – doch ihr Profil ging unter. Chris wollte Freelance-Projekte an Land ziehen, aber seine Konkurrenz arbeitete für ein Drittel seines Preises – aus Indien, Vietnam, Rumänien.
„Ich hab sechs Wochen lang jeden Tag gepitcht – und keinen einzigen Auftrag bekommen.“
Die Ersparnisse schmolzen schneller als das Gulasch auf dem Herd. Die Miete für das Co-Working-Space, die Mitgliedsgebühren für die angebliche „Community“, das tägliche Leben – alles teurer als gedacht.
Und dann der Rückschlag: Der Laptop streikte. Ein Wasserschaden – kein Ersatzgerät. Drei Tage offline. Drei Tage, in denen ein potenzieller Kunde absprang.
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Zwischen Burnout und Balkonwein – was keiner auf Instagram zeigt
Die Stimmung kippte. Statt digitaler Selbstverwirklichung: Isolation. Statt Freiheit: Existenzangst.
Abends saßen sie auf dem Balkon ihres Airbnb, tranken billigen ungarischen Rotwein und fragten sich: „Was zum Teufel machen wir hier?“
Jana bekam Panikattacken, Chris grübelte über eine Rückkehr ins Angestelltenverhältnis. Das Wort „Scheitern“ lag wie Blei in der Luft.
Und als wäre das nicht genug, kam die Kündigung: Das Co-Living-Haus wurde verkauft. Sie hatten zwei Wochen, um etwas Neues zu finden – sonst zurück nach Deutschland.
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Wendepunkt in der Waschsalon-Community – ja, wirklich
Und dann passierte das Unglaubliche. Im Waschsalon um die Ecke traf Jana auf Lili, eine ungarische Grafikdesignerin. Die beiden kamen ins Gespräch, redeten über das Leben, über Kunden, über Budapest.
Lili kannte die Szene. Sie war Teil eines kleinen, privaten Co-Working-Spaces – ohne Instagram-Hype, ohne Rooftop-Events, aber mit echter Hilfe.
Zwei Tage später saßen Jana und Chris dort. Ein Raum mit fünf anderen Selbstständigen, die sich gegenseitig Aufträge zuschoben, Ratschläge gaben, Kontakte teilten.
Chris bekam sein erstes Projekt. Jana wurde über Lili an eine ungarische Consulting-Firma vermittelt. Das Geld floss langsam wieder.
„Wir dachten, wir brauchen Sichtbarkeit. Aber was wir wirklich brauchten, war Verbindung.“
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Lektion aus der Krise: Co-Working ist kein Allheilmittel – sondern ein Spiegel
Was Jana und Chris gelernt haben, erzählen sie heute auf Meetups in der Stadt – und manchmal sogar in Zoom-Calls mit anderen deutschen Auswanderern:
– Community ist kein Angebot, sondern etwas, das man sich erarbeitet.
– Remote zu arbeiten heißt nicht automatisch, frei zu sein.
– Selbstständigkeit in Ungarn ist günstiger – aber nicht einfacher.
– Man scheitert nicht, weil man unfähig ist – sondern weil man zu viel erwartet.
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Heute leben die beiden noch immer in Budapest. Ihre Wohnung ist kleiner, ihr Lebensstil bescheidener, aber sie fühlen sich angekommen.
Und wenn sie in der Stadt einen neuen digitalen Nomaden treffen, sagen sie nicht mehr: „Willkommen im Paradies.“
Sondern: „Willkommen im echten Leben.“
Denn genau das beginnt dort, wo der Instagram-Filter endet.